Das Türchen Nr. 18

Der Christbaum steht und das 18. Türchen möchte geöffnet werden: Wieder keine (Lindt-?)Schoki, sondern mitunter Saures. In ganz Deutschland laufen heute wieder Demos, in Österreich nochmal heftiger, von anderen Staaten weiß ich nichts.

Den Protest auf der Straße/den Unmut kann ich mehr als nachvollziehen. Wünschenswert fände ich eine andere Herangehensweise an ein grundsätzlich potenziell ideologiebefreites Problem wie das einer Virus-Pandemie. Eine echte Lernkurve der politischen Akteure zur Eindämmung derselben blieb aus meiner Perspektive aus. Die zwei wichtigsten Defizite: Der Ansatz ist immer noch wenig multiperspektivisch. Eine Pandemie trifft aber alle und daher müssen auch alle gehört werden. Das ist nicht leicht (aber dann würde es ja auch jeder machen). Soll heißen, dass das in unserer Demokratie, deren Wertefundament Solidarität und Vertrauen ist, nach derzeit 20 Monaten Pandemiegeschehen zumindest angegangen sein sollte. Weitgehend Fehlanzeige. Zweites großes Defizit: Es fehlen in Deutschland immer noch massiv Daten, um besser mit der Situation umgehen zu können. Das ist nicht nur schade, sondern – mit Verlaub – erschütternd unprofessionell.

Eine schöne Darstellung zu letzterem liefert der Artikel „Das unbegreifliche Desinteresse an den Genesenen“, s. https://www.heise.de/tp/features/Das-unbegreifliche-Desinteresse-an-den-Genesenen-6297385.html. Darin wird Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, mit den Worten zitiert, dass die deutliche Besserstellung der Geimpften noch von einer „steinzeitlichen Regelung aus den Anfangstagen der Pandemie“ stamme. Des Weiteren nennt er es „ganz schön vermessen, dass die Menschen glauben, mit ihrem der Natur nachgebautem Impfstoff besser zu sein als das menschliche Immunsystem, das Milliarden Jahre Zeit hatte, sich zu entwickeln“.

Für mich persönlich ist daher die Frage nach einem Antikörpertest für meine eigene Impfentscheidung wichtig. Nun, wieder nicht trivial und vermutlich ist auch ein solcher Antikörpertest labormedizinisch vielfach angreifbar. Allerdings sollte er in jedem Fall eine gewisse Aussagequalität haben: In ganzseitigen Anzeigen zum Boostern in der natürlich vom Anzeigengeschäft komplett losgelösten Presse war der explizite Hinweis, man möge doch von Antikörpertests im Vorfeld absehen, das bräuchte es nicht. Das nehme ich dann mal als echte Adelung eines solchen Vorgehens wahr.

Grundlage für diese Aussage in der Marketing-Kampagne war vermutlich das 2. Epidemiologisches Bulletin des RKI vom 2. Dezember, s. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/48_21.pdf?__blob=publicationFile. Darin heißt es: „Eine serologische Antikörpertestung wird nicht grundsätzlich empfohlen. Der Wert, der einen fortbestehenden Schutz bedeutet und damit eine 3. Impfstoffdosis unnötig machen würde, ist nicht bekannt.“ Eine sehr pragmatische Vorgehensweise, weil man keine Daten hat. Kann man so machen, aber auch hier sollte man nach 20 Monaten Pandemie so reif sein, dass man sich eingesteht, dass zu Beginn, wo es ums ins Tun kommen ging, auch schon mal das eine oder andere entschieden worden ist, das man mit neueren Erkenntnissen kippen könnte und sollte. Ein solches Lernen, eine kritische Selbstkorrektur hatte die Politik leider nur in der Frage nach der allgemeinen Impfpflicht: Nachdem die Umfragewerte alle Pro Impfpflicht wechselten, sind die noch blutjungen Ultima Ratio-Ausschlüsse einer solchen Maßnahme frappierend schnell beerdigt worden.

Daher mein Aufruf: Leute, mal kurz innehalten, sich den Luxus gönnen, die eigenen Positionen zu überdenken, sowie ehrlich mit der Situation (und menschlich miteinander) umgehen. Ich hoffe in dem Zusammenhang inständig auf Omikron – dass es bereits die endemische Mutation wird und daher eher die Ausprägung „allgemeines Lebensrisiko“ einnimmt als das übermächtige „Die Welt steht still“/“geimpft, genesen oder verstorben“-Bild festigt.

Unabhängig, ob wir mit Omikron „schon“ mit Covid-19 durch sein sollten, formulierte bereits 1936 in zugegebenermaßen anderem Zusammenhang John Maynard Keynes das berühmte Aperçu „In the long run we are all dead“. Das gilt – Gott sei Dank – immer noch. Schön wäre, wenn zu einem individuellen Recht auf Lebensrisiko auch zu Lebzeiten (s.o.) wieder die Fröhlichkeit im Herzen dazukommen würde, von der Angela Merkel kürzlich bei ihrem Großen Zapfenstreich sprach.

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